Davidia involucrata
Baum Nr. 0381
Sie finden unseren Taschentuchbaum, wenn Sie das Café hinter sich lassen und ein kurzes Stück den Forsythienweg entlang gehen auf der rechten Seite. Die eigentlichen Blüten stehen in kleinen kugeligen Blütenständen zusammen. Auffällig sind die beiden Hochblätter, die zu jedem Blütenstand gehören und in der vollen Blüte an weiße Taschentücher erinnern. Fast noch schöner findet der Gartenkieker die Hochblätter in der Woche vor der Blüte, wenn sich die schon voll ausgebildeten, aber noch grünen Hochblätter leicht entfärben, um sich dann nach und nach in strahlendem Weiß zu glänzen. Wer nur eilig durch den Garten geht, mag den Baum auch in der Blüte übersehen, steht der doch etwas abseits vom Weg. Doch auch außerhalb der Blüte kann der Gartenkieker den Baum gut leiden, denn der zierliche Wuchs und das hübsche Blattwerk mit den rötlichen Blattstielen machen ihn zu einer Gartenschönheit, zu einer von der nicht so aufdringlichen Art. Wie so viele andere Gehölze in unserem Arboretum stammt auch dieser kleine Baum aus dem Süden Chinas, wo sich eine reichhaltige Tertiär-Vegetation über die Eiszeiten hinretten konnte.
Mit der Einführung dieses kleinen Baums ist eine nette (jedenfalls für die nicht Beteiligten nette) Geschichte verbunden. Einige französische Missionare, darunter auch Armand David, hatten durch ihre reichhaltigen Herbarien Interesse an dieser im 19. Jahrhundert so abgelegenen Region geweckt. Noch mehr Interesse weckte vielleicht der Ire Augustine Henry, ein in Yichang stationierter Medizinalbeamter, der bis 1899 etwa 158.000 Herbarexemplare nach Kew Gardens schickte. Henry äußerte den dringenden Rat, Pflanzensammler in diese Regionen zu schicken, bevor der Pflanzenreichtum durch Land-Übernutzung ganz verloren sein würde. Besonderes Interesse weckte die Beschreibung unseres Taschenbuchbaums, die damals die Gartenwelt elektrisierte. Die Firma Veitch schickte deshalb den 22 Jahre jungen Ernest Henry Wilson auf den langen Weg zu Augustine Henry über Nordamerika und Hongkong in den Südzipfel Yunnans in das Grenzgebiet zu Laos und Vietnam, wo der junge Mann Augustine Henry noch antraf, bevor dieser zurück nach Europa fuhr. Wie enttäuscht war Wilson, als ihm Henry lediglich einen vergammelten Briefumschlag mit einer rohen Skizze übergab. Noch enttäuschter war Wilson allerdings, als er Monate später nach insgesamt 21.000 km Reiseweg am 25. April 1900 vor dem abgehauenen Stumpf des von Henry beschriebenen Taschentuchbaums stand [1]. In der folgenden Nacht konnte er nicht schlafen. Doch er suchte weiter, bis er am 19. Mai einen blühenden Baum fand. So konnte er später schreiben:
„Meiner Meinung nach ist Davidia involucrata zugleich der interessanteste und schönste aller Bäume der gemäßigten nördlichen Breiten … Die Blüten und die zugehörigen Tragblätter hängen an ziemlich langen Stielen, und wenn nur die leiseste Brise hindurchweht, gleichen sie riesigen Schmetterlingen, die zwischen den Bäumen schweben.“ [1] Ernest Henry Wilson sollte noch viele Pflanzen finden, die unsere Gärten und unsere Teller (Kiwi-Beere!) bereichern würden, doch dieser Fund in seinem ersten Jahr als Pflanzensammler war vielleicht sein schönstes „Fundstück“.
[1] Toby Musgrave, Chris Gardner und Will Musgrave. 1999. Christian Verlag.